Kontor Konkret

13.Januar.2022 - Markus Schulz

ENGEL

Der Angst etwas entgegensetzen

Auf dem Hauptfriedhof. Ich begleite eine Beerdigung. Ernstes Schweigen, konzentrierte Schritte. Auf dem Rückweg der gleiche Pfad, doch jetzt fallen mir die kleinen Engel viel mehr auf. Sie stehen an so vielen Gräbern. Mein Fall sind sie nicht so sehr. Obwohl: Engel an sich haben etwas faszinierendes.  

 

Was ist das Geheimnis der Engel, dass sie uns so häufig begleiten? Der mit Abstand beliebteste Taufspruch in Deutschland ist schließlich: „Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.“ (Psalm 91,11 und 12)

 

Unverfügbar und doch nah, geheimnisvoll und doch irgendwie leichter zu fassen als der unfassbare Gott. Sie wechseln hin und her zwischen seiner und meiner Realität, sind wohl wirklich Boten, die den Menschen eine Ahnung von dem vermitteln, der sie gesandt hat.

 

Auf dem Friedhof begegnen mir die eher barocken Putten-Engel, die süß und freundlich lächelnd Zuwendung und Liebe ausdrücken. In den meisten Geschichten der Bibel geht es weniger barock zu. Da geht plötzlich der Spot on und das Licht einer anderen Realität erhellt die Welt eines Menschen. Wie bei Maria oder den Hirten in der Geschichte von Weihnachten.

Eine andere Welt bricht in meine Welt hinein – und ich fürchte mich. Fremd und geheimnisvoll, unbekannt und irgendwie erhaben sind die Engel der Bibel, wenn Menschen ihnen begegnen. Kein Wunder also, dass immer, wenn sich diese Begegnung ereignet, die allerersten Worte dieselben sind: „Fürchte dich nicht.“

 

Engel – sie scheinen Furchtvertreiber und Vertrauensbildner zwischen Gott und den Menschen scheinen zu sein. Sie treten plötzlich in das Leben von einer Maria oder einem Josef hinein. Sie erschrecken – und nehmen der Furcht sofort den Wind aus Segeln: „Fürchte dich nicht.“

 

Der Jahreswechsel liegt gerade hinter uns, wieder einmal unter Corona-Bedingungen. Voller Ungewissheit und Sorge blickte eine ganze Welt immer noch gebannt auf ein winziges Virus, stachelig, neu, unbekannt in seinen Auswirkungen. Angst vor dem Krank werden, vor dem Alleinsein, Furcht vor der Ansteckung und den Langzeitfolgen, Angst vor dem neuen Impfstoff. Wie sehr uns eine unüberschaubare Krise, deren Auswirkungen wir auch nach fast zwei Jahren noch nicht in ihrer Gänze erkennen können, in Atem halten und mit unseren Ängsten konfrontieren kann, tragen viele Menschen noch spürbar präsent in sich.

 

Kann es nicht sein, dass wir Engel wirklich brauchen? Könnte es möglich sein, dass der Herr des Himmels und der Erde diese Boten der Angstüberwindung und Mutverbreitung ganz gezielt mit dem leichten Sprung in der Platte ausgestattet hat. Immer wieder sagen sie ihr „Fürchte dich nicht.“. Weil wir es brauchen, dass uns genau das jemand sagt.

 

Ich bin ganz froh darüber, dass die Engelwesen der Bibel nicht so pausbackig und barock daherkommen wie manch ein Engel auf dem Friedhof. Sie sind gut aufgestellt, klar und solide. Sie leuchten hell in den Nächten der Welt. Eher Krieger des Lichts sind sie als Boten pittoresker Goldigkeit. Ihr „Fürchte dich nicht“ tritt den manchmal übermächtigen inneren Ängsten kraftvoll und strahlend gegenüber. Sie kommen aus einer Welt, die ich nur erahnen kann.

 

Wo findest du einen Engel, der dir jetzt, zu Beginn des neuen Jahres genau das sagt: „Fürchte dich nicht!“?

Geh auf die Suche, hör genau hin. Lass dich nicht abspeisen mit goldigen Antworten. Warte auf den Durchbruch eines echten Angstsüberwinders und dann fürchte dich nicht.

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