Kontor Konkret

13.März.2021 - Gabriele Hartlieb

Mist

Erkenntnis durch Scheiße.

Einfacher, ruhiger, langsamer, focussierter wird mein Leben gerader. Unter anderem. Dank Corona. Das tut mir gut. Glück im Unglück. Oder, weil Glück doch etwas zu euphorisch klingt und Unglück zu zufällig für eine Pandemie, für deren Entstehen menschliches Verhalten wesentlichen Anteil hatte: Erkenntnis durch Scheiße.

Einfacher ist mein Leben geworden, die Frage Wie verbringe ich meine Zeit am Abend? Was mache ich am Wochenende? erübrigt sich mangels Alternativen. Auch das Problem: Was verpasse ich gerade, weil ich hier bin und nicht ganz woanders – habe ich nicht. Ich verpasse nichts Besonderes. Nur, vielleicht, ein Jahr meines Lebens.

Vielleicht aber auch nicht. Weil alles langsamer geworden ist, nehme ich besser wahr, kann ruhiger nachdenken. Bin nicht mehr dauernd mit anderem beschäftigt, muss nicht aufmerksam sein für das, was die anderen umtreibt, was außen ist. Lebe mehr im – ja, sehr begrenzten – Hier und Jetzt. Das macht mich aber auch focussierter: auf das, was in mir, vor mir, mit mir ist. Und überlege, was das alles soll. Was ich tun kann. Lassen sollte, weil ich es nicht ändern werde. Und was werden könnte!

Keine Frage, das Ganze ist Mist. Und mir stinkt so vieles grade, und ja, ich bin auch irgendwie müde, ich bin dünnhäutig, beim Blick nach vorne sehe ich keine ungetrübte rosige Zukunft. Aber: Mist ist eben nicht nur Abfall und Gestank. Mist nützt, Mist macht Sinn, im Mist steckt produktive Kraft. Neues und Gutes kann darauf gedeihen. Dazu will ich tun, was ich kann.

Das ist eine alte Erkenntnis, als Stadtbewohnerin wird mir das beim urban gardening vor Augen geführt. Johannes Tauler, mittelalterlicher Gottesgelehrter, hat es vor 700 Jahren so gesagt:

Das Pferd macht Mist im Stall, und obgleich der Mist einen Unflat und Stank an sich hat, so zieht dasselbe Pferd doch den Mist mit großer Mühe auf das Feld, und daraus wächst sodann schöner Weizen und der edle, süße Wein, der niemals wüchse, wäre der Mist nicht da.

Also trage deinen Mist – das sind deine Gebrechen, die du nicht abtun, ablegen noch überwinden kannst – mit Mühe und Fleiß auf den Acker des liebreichen Willens Gottes in rechter Gelassenheit deiner selbst. Es wächst ohne Zweifel in einer demütigen Gelassenheit köstliche, wohlschmeckende Frucht daraus.

 

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