Kontor Konkret

18.Juni.2021 - Norbert Aufrecht

Innen und Außen

„Es braucht doch kein Foto in der Bewerbungsmappe! Was hat das mit der fachlichen Eignung zu tun!“ ereifert sich eine Kollegin, als ich ihr gestehe, dass ich in Stellenbesetzungsverfahren immer zuerst das Porträt des Bewerbers oder der Bewerberin anschaue. Ich muss mich rechtfertigen: „Naja, die Kleidung, die Frisur, die Mimik, die Ausstrahlung – das sagt doch auch viel über die Person aus. Wir stellen doch keinen wesenlosen Kompetenzträger ein, sondern einen Menschen. Und der soll doch zu uns passen.“ Die Diskussion geht weiter. Das Foto könnte geschönt sein und gar nicht den Menschen, wie er sich sonst gibt, zeigen. Und es könnte passieren, dass Jemand Qualifiziertes schlechte Chancen hat, weil er oder sie nicht gerade attraktiv aussieht. Ok. Das ist schlecht zu kontern. Die Gefahr gibt’s.

Trotzdem, ich steh dazu, das Äußere hat Bedeutung! Für mich jedenfalls. Sei es das Etikett auf der Dosensuppe, das Leuchten-Design des SUVs, das Layout des Gemeindebriefs, die Farbe des Daypacks, das Motiv auf dem T-Shirt oder die musikalische Gestaltung eines Gottesdienstes. Ja, ich weiß: Das alles hat nicht wirklich etwas mit der Funktionalität oder der Qualität eines Produktes zu tun. Aber das Auge ißt mit. Ich kaufe doch nicht nur, was ich brauche, sondern auch das, was mich lockt. Das Optische oder manchmal auch das Akustische ist der Reiz, der mich anlockt. Oder abstößt. Das Äußere entscheidet darüber, ob ich mich näher interessiere oder den Eindruck habe, dass etwas zu mir passt.

Der liebe Gott hat uns eben auch einen Sinn für Ästhetik, Stil und Schönheit mitgegeben. Und das finde ich klasse. Zudem leben wir auch in einem Augenzeitalter und in einer Gesellschaft, die sich Gestaltung und Inszenierung leisten kann. Architekten, Grafiker, Produktdesigner, Künstler, die Werbe- und die Verpackungsindustrie machen uns das Leben schön. Vom Besteck bis zur Luxusvilla. Ich finde das in Ordnung, bewundere die ästhetisch Schaffenden und ihre Werke und freue mich, dass wir weit jenseits einer langweiligen Beton-Einheits-Tristesse leben können. Wenn etwas schön ist, ist das doch erst einem gut!

Allerdings: Natürlich werden wir mit unserem Hang zum Schönen, hinter dem vielleicht unsere Sehnsucht nach dem Glück steht, auch geködert. Manipuliert. Als Wähler und als Konsumenten und wahrscheinlich auch in vielen anderen Rollen. Als bewusst leben wollender Mensch muss man sich manchmal zwingen, hinter die Kulissen des Schönen zu schauen: Wie ist denn der Spritverbrauch des neuen Flitzers und für welche Positionen steht der smart lächelnde Bundestagskandidat denn wirklich? Auch die Frage, ob ich etwas Schönes auch wirklich brauche, kann angebracht sein.

Übrigens: Das Thema mit dem Außen und Innen ist kein Ding der Postmoderne. In der Antike – nachzulesen in der Bibel in 1. Samuel 16 – erhält Samuel von Gott den Auftrag, den künftigen König zu küren. Er wird zu einer Familie mit 8 Söhnen gesandt, weiß aber nicht, welcher der Auserkorene ist. Die Jungs werden ihm vorgeführt. Zuerst der Älteste, dann der Stärkste, der Stattlichste usw. Aber am Ende zieht der Jüngste, dem man das Amt kaum zugetraut hat, das große Los. Gottes Kommentar zu dem Königs-Casting: »Bei mir zählt nicht, was ein Mensch sieht. Der Mensch sieht nur auf das Äußere, der Herr aber sieht auf das Herz.« Das sollten wir wohl auch öfter tun: Auf die verborgenen inneren Werte schauen und unser Urteil über Menschen auf keinen Fall allein an Ausstrahlung und Selbstinzenierung festmachen. Den 2. Blick investieren und versuchen, Menschen in der Tiefe kennen zu lernen.

A propos Selbstinszenierung: Wir lernen ein Leben lang, dass wir uns auch schön und attraktiv machen müssen, um erfolgreich zu sein oder um wahrgenommen zu werden und Bedeutung zu haben. Wir sind darauf getrimmt, zu wirken oder etwas zu bewirken, jedenfalls irgendwie etwas vorzeigen zu können. Damit fließt viel Aufmerksamkeit an die Oberfläche des Lebens. Was dabei zu

kurz kommt, ist unser Innenleben. Vielleicht wissen wir manchmal mehr, was Andere von uns halten, als über unseren eigenen seelischen Zustand. Die WiseGuys sangen nicht umsonst:

„Man müsste sich mal wieder selbst besuchen. Doch man ist ja immer so gehetzt. Ich habe neulich bei mir angerufen, Doch es war die ganze Zeit besetzt.“

Der hippe Trend weg von der lauten Äußerlichkeit zur eher stillen Achtsamkeit – von dem ich nicht weiß, wie groß er wirklich ist – hat da sicher seine Berechtigung und Wichtigkeit. Das Leben allein an der Oberfläche ist nicht gesund. Der amerikanische Theologe und Autor Gordon McDonald erzählt von einer Straße in Kalifornien, die eines Tages eingebrochen ist und Straßenbelag, Gehweg, Autos und angrenzende Häuser in die Tiefe zog, weil darunter durch einen ausgetrockneten unterirdischen Flußlauf ein Hohlraum entstanden ist, den niemand bemerkt hatte. McDonald warnt: So könnte es auch Menschen gehen, die ihre Aufmerksamkeit nur an der Oberfläche ihres Lebens haben. Ein innerer Hohlraum, ein ungepflegtes Innenleben könnte bei entsprechender Belastung das ganze Leben zum Einsturz bringen.

Für mich ist es eine wichtige Gewohnheit, mir morgens eine persönliche Zeit der Besinnung zu nehmen. Ja, als Christ bete ich da und ich denke auch über ein Bibelwort nach. Aber was mindestens genauso wichtig ist: Ich denke über mich nach. Schreibe mir – weil ich eher ein problemfokussierter Mensch bin – auf, was alles gut war gestern und vorgestern. Aber auch, was mich umtreibt, wenn ich zur Ruhe komme. Der Ärger, die Sorge, das dumpfe Gefühl der Überforderung, die Liste der ToDos. All das meldet sich in dieser Zeit der Besinnung. Auch wenn ich das gar nicht anschauen will. Ich schreib mir die Dinge in mein Tagebuch und bitte Gott um seine Unterstützung. Und dann starte ich auch schon wieder in meinen Tag. Ich habe immer wieder das Gefühl, dass diese Zeit mit dem Blick auf mein Seelenkostüm und auf meinen Gott mir gut tut, meine Stimmung verändert, mich stärkt für meinen Alltag. Auch, dass sie mich unabhängiger macht von der äußeren Welt mit all ihren Anforderungen und Werturteilen. Und dass sie eine Wirkung hat auf die Art, wie ich Dinge angehe oder mit Menschen umgehe.

Vielleicht lerne ich dort, in der Begegnung zwischen Gott und mir auch (in homöopathischen Dosen), dass ich ich sein darf, dass ich mit Stärken und Schwächen, Erfolgen und Niederlagen angenommen und geliebt bin. Und vielleicht macht mich das dann auch gelassener und unabhängiger von dem, wie andere Menschen meine Performance und Leistung, Ausstrahlung und was weiß ich noch beurteilen.

Jedenfalls will ich nicht nur an der Oberfläche leben!Norbert Aufrecht

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