22.Mai.2021 - Markus Schulz
Absolut überraschend?
Heiliger Musikgeschmack
Nur bei einem Menschen wundert mich gar nichts, was Musik angeht. Er ist ein Freund meines Sohnes. Er ist musikalisch begabt – kein Wunder, bei der Herkunftsfamilie! Und seine Playlist ist so fett, dass er für viele andere Apps keinen Speicherplatz mehr hat. Er kennt die Musik der 20er Jahre, hört die heftigsten Rapper und in derselben Playlist Gospelmusik. Und manchmal, wenn er updanct, dann hört er Neue Deutsche Welle.
Komplett anders ging es mir vor ein paar Wochen: Beerdigung. Trauerfeier vorbereiten. Ein Mensch, den ich kannte. Die Angehörigen suchten die Musik mit mir aus. „Hier, das sind ihre CDs“, sagten sie. Und ich schaute sie durch. Christliche Musik, Schlager, klar. Und dann: Deutschrap der heftigsten Sorte. Und das in dem Alter!
Und jetzt frage ich mich: Wie ist das eigentlich bei der Kirche? Gibt es Menschen, die sich wundern über die Musiksammlung? Oder meint jeder: „Die singen immer nur dieselbe Melodie.“
Bald ist Pfingsten. Ein Fest im Jahr, mit dem viele nicht das Geringste anfangen können, glaube ich. Dabei ist es so genial – weil so überraschend, so wenig einzuordnen. Die Perspektivlosigkeit von Menschen wird da durchbrochen. Die traurige Melodie, in die alle eingestimmt hatten, wird völlig neu interpretiert. Fest verschlossene innere und äußere Türen gehen auf. Sprachlose fangen an zu erzählen und fremde Nationalitäten verstehen sich ohne Übersetzer.
Fast so, als ob alle von einer neuen Melodie angesteckt und berührt würden. Absolut überraschend!
In der christlich-jüdischen Tradition ist das eigentlich gar nicht so ungewöhnlich, dass etwas ungewöhlich ist. Und ich frage mich, ob und wie dieses Überraschungsmoment mehr Raum gewinnen könnte. Zum Beispiel der Musikgeschmack von Gott: Harfe, denkt man, und Halleluja, auf Wolken mit viel Echo gesungen.
Stimmt aber gar nicht. Ehrlich gesagt, Gott könnte da manchmal eher kotzen. „Ich kann das Geplärr eurer Lieder nicht mehr hören“, zitiert ihn der Prophet Amos.
Die Melodie, die dem Geschmack Gottes entspricht, hat den Cantus Firmus „Gerechtigkeit und Recht“. Nur wo das gespielt wird, groovt Gott mit.
Und, ist das jetzt überraschend für jemanden, der zum ersten Mal zuhört? Oder war das zu erwarten? Ich bin mir nicht sicher. Aber ich höre mal rein in die Melodie.